Griepenkerl versus Schiele

Kunstauffassung im Fin de Siècle

„Der Teufel hat in meine Klasse ge******. Sagen Sie niemandem, dass Sie bei mir waren.“

Schiele_SelbstbildnismitGilet_1910_FotoPeterBttcher_LdsSlg.jpg
Schiele Selbstbildnis mit Gilet (1910), Foto: Peter Böttcher, Landessammlungen Niederösterreich
„Der Grundinstinkt des Menschen ist Herrschsucht. Er will herrschen über Totes und Lebendiges, Körper und Seelen, Zukunft und Vergangenheit. [...] Und so ersann sich auch der Mensch eine List, um seinen tiefsten Grundwillen zu befriedigen: er erfand die Kunst.“, schrieb der Kulturphilosoph und Theaterkritiker Egon Friedell über das Fin de Siècle. Diese turbulente Zeit war gerade in der Kunst bemerkbar. So traten, unter vielen weiteren, zwei Künstler auf, deren Überzeugungen und Ideen unterschiedlicher nicht sein konnten. Beide mussten miteinander für eine Zeit auskommen. Der eine war als Schüler in einer Welt gefangen, in der sich mehrere Lehrer veraltete Methoden anwandten und moralisierend verklärte Bilder von Hochkulturen schufen. Der andere war ein Lehrer mit gutem Ruf, der sich mit den modernen, teilweise auch „wilden“ Vorstellungen und Aktionen seiner Schüler nicht identifizieren konnte.

Der Lehrer Griepenkerl        

Der aus Oldenburg stammende Historienmaler Christian Griepenkerl (1837-1916) studierte seit 1855 bei Carl Rahl an der Akademie der bildenden Künste. Rahl beeinflusste seinen Schüler tiefgreifend, sodass Griepenkerl gemeinsam mit Hans Bitterlich nach Rahls Tod mehrere Fresken der heutigen Staatsoper für seinen Lehrmeister vollendete. Der Plafond im Salon der Beletage des Palais Klein, die Deckengemälde des Ephrussipalais, ein Fries im Sitzungssaal des Parlaments und viele Porträts wie etwa von Eitelberger, Führich und Rudolf von Alt, bezeugen seine Vorstellung über die Kunst. Als Professor in der Akademie der bildenden Kunst (1875-1910) und als Leiter für Historienmalerei war ihm die Allegorie, exakte Darstellung und Verwendung im Stil der Renaissance im Geiste Rahls ein Hauptanliegen. Gleichzeitig warf man Griepenkerl dennoch vor, nicht an das Temperament seines Vorbilds hereinzureichen. Griepenkerls Werke vermittelten bei vielen Betrachterinnen und Betrachtern Nüchternheit, im schlimmsten Fall sogar Gefühlskälte. Anderen wieder imponierte dieser klassische Stil von Allgemeingültigkeit. Neben der Erhebung zum Ritter des Franz Joseph-Ordens 1877 wurde Griepenkerl 1887 der Orden der Eisernen Krone III. Klasse verliehen.

Über seinen Charakter findet sich ein Artikel in der „Neuen Freien Presse“ vom 27. September 1917, also nachdem Griepenkerl schon gestorben war. Hier wurde berichtet, dass Griepenkerl als Lehrer von Schiele mit einem „Zug von Resignation, ja von Verdrossenheit“, interpretiert wurde. Weiters wird der Lehrer Griepenkerl als jemand beschrieben, der „trotz seines erregbaren Temperaments [...] keine streitbare Natur“ war. Weiters als „Künstlerkopf“ mit einer „gewisse(n) Schlaffheit seiner Gesichtszüge“, „einem mädchenhaften zarten Teint“ trotz seines Alters. Auch der eigentümliche Gebrauch des Wiener Dialekts, wird beschrieben, wonach Griepenkerl „alle Vokale so flach, daß a, e und i einander ganz ähnlich klangen“. Der solcherart gezeichnete Lehrer wurde gerne auch von Schülern parodiert. Dass Schiele sich daran beteiligt hat, liegt im Bereich des Möglichen. 

Auch politisch beteiligte sich Christian Griepenkerl in Form des Vereins „Freie Schule“, der sich öffentlich gegen den „Katholischen Schulverein“ stellte und eine Veränderung der Schulpolitik verlangte. So findet sich in der „Neuen freien Lehrerzeitung“ nicht nur der Vorwurf, dass es gelungen ist „die Schulzeit zu verkürzen, die Lehrerbildung herabzudrücken, den gesamten Unterricht konfessionel [sic!] zu beeinflußen [sic!].“, sondern auch unter der Liste der Unterstützer auch der Name Christian Griepenkerl.

Schieles Weg

SchieleMuseumTulln2012Akademiezeichnungen_FotoDanielHinterramskogler39.jpg
Schiele Museum Tulln 2012 Akademiezeichnungen, Foto Daniel Hinterramskogler
Bevor Schiele zum Schüler in die Meisterklasse von Christian Griepenkerl an der Akademie der bildenden Künste wurde, musste Schieles Vormund Leopold Czihacek davon überzeugt werden, der Aufnahme zuzustimmen. Erst nach dem persönlichen Einsatz von Ludwig Karl Strauch, Max Kahrer und besonders durch die Mutter Marie Schiele, konnte der Onkel dazu bewogen werden, weiterhin dem Patenkind zur Seite zu stehen. Für die erfolgreiche Aufnahme an die „Allgemeine Malerschule“ an der Akademie, musste Egon Schiele „Proben“ vorlegen, aber auch eine Aufnahmeprüfung über sich ergehen lassen. Diese meisterte Schiele 1906 und beeindruckte auch mit Porträts der Schwester und der Mutter. Sechs Semester studierte er an der Akademie, vier davon als Gasthörer, damit er sich die Gebühr von 20 Kronen pro Semester ersparen konnte. Die anderen zwei Semester war er ordentlicher Schüler und konnte daher auch Prüfungen ablegen.

Für Schiele war die Zeit an der Akademie eher eine Ausbildung, die zwar seine Fertigkeiten förderte und forderte, aber ihm dennoch nicht das Maß an Ideen gab, die er sich erwartete. Und dennoch, auch wenn der Unterricht an der Akademie von ihm als veraltet angesehen wurde, gab es auch Ausnahmen. Nach zwei Monaten seiner Studienzeit sprang Hermann Vincenz Heller für den erkrankten Anton Ritter von Frisch in Anatomie ein. Seine Ausdruckslehre und Gesichterstudien inspirierte Schiele, auch wenn er vom Professor wie auch die Hälfte des Jahrganges, mit der Note „genügend“ abschloss.

Über das Verhältnis zwischen dem Lehrer Griepenkerl und dem Schüler Schiele verfassten mehrere Zeitungen in den 1920er Jahren Beiträge. Die Bandbreite war groß, wie weit der Wahrheitsgehalt in diesen Artikeln überprüft wurde, ist dennoch unklar. So schrieb „Der Tag“ am 19.Mai 1929, dass Schiele Porträts bei der Aufnahmeprüfung fehlten und er noch schnell diese an Griepenkerl sendete. Diese Nachricht ist nach heutigem Erkenntnisstand eher zu bezweifeln. Dieselbe Zeitung schrieb am 13. Dezember 1925, dass Schiele zunächst als Wunderkind der Akademie gefeiert, sich später seine Leidenschaft „Klimt, den Primitiven aller Länder und Völker“, galt und als „unverbesserlicher Eigenbrötler“ bei Griepenkerl bemerkbar machte.

Dass der Teufel bei Griepenkerl und Schiele im Spiel war, findet sich unter anderem auch im Salzburger Volksblatt vom 18. Mai 1929. Eine ähnliche Formulierung wurde von Arthur Roessler tradiert.

„Der Austritt“ und eine Petition der Neukunstgruppe an den Professor

Schiele ist nicht allein mit seiner Enttäuschung über die Akademie. Freunde und Studienkollegen wie Anton Faistauer, Anton Peschka und Franz Wegele stehen wie Schiele dem Unterricht argwöhnisch gegenüber. Pamphlet mit 13 Fragen an Griepenkerl konzipierte den theoretischen Aufbau des Künstlerkollektivs „Neukunstgruppe“. Die „Rebellen“ erhielten mit Schiele aber auch durch Arthur Roessler Networker, Promoter und Manager zugleich. Als Event gewannen die Mitglieder die Galerie Salon Pisko am Schwarzenbergplatz in Wien und bezeichneten ihre Gründung in den Printmedien als „Akt der Notwehr“ gegen die Akademie. Das Marketing der Neukunstgruppe hatte Erfolg. Am 1. Dezember 1909 berichtete die Neue Freie Presse über junge Akademiker und solche, die es werden wollen. Einerseits kritisierten die Redakteure Darstellungen obszöner Dinge, einen Hang zum Dilettantismus und absichtliche Rohheit. Andererseits lobten sie aber auch die Schöpfer der Werke als talentiert, aber auf dem Weg in eine Sackgasse zu gelangen.

Am 4. November 1928, zehn Jahre nachdem Schiele gestorben war, erschien in der Österreichischen Illustrierten Zeitung ein Artikel von Bruno Schütz, der den Eindruck hat, Schiele sei nach dieser Zeit: „Einsam, von niemandem gefördert und gestützt“, in Wien als unbekannter Künstler aufgewachsen. Nach heutigem Wissen ist dies zu verneinen. Obschon diese Aktion ein Angriff auf die Akademie deutlich machte, schlossen alle ausgezogenen Schüler ihr Triennium ab. Eine Hauptmotivation dafür dürfte auch die Erleichterung, statt drei Jahren Militärdienst nur ein Jahr zu leisten, gewesen sein. So unterschiedlich Griepenkerl und Schiele waren, beide widmeten ihr Leben der Kunst mit dem Anspruch die Welt zu verändern. Viele Nachrufe bezeugen ihr Wirken. Weitere Anekdoten, Geschichten und Ideen dieser beiden unterschiedlichen Herren lassen sich im Egon-Schiele-Museum Tulln finden.

Text: Mag. Josef Keler, Kulturvermittler im Museum Niederösterreich & Egon-Schiele-Museum Tulln

 

 

Literatur:

  • Christian Bauer (2013): Egon Schiele – Der Anfang, The Beginning, München, S. 192-194
  • Christian Bauer (2015): Egon Schiele: Fast ein ganzes Leben, München 40, S. 46-49
  • Egon Friedell (2009): Kulturgeschichte der Neuzeit, Zürich. 4. Aufl., S. 1551
  • Ernst Hanisch (2005): Der lange Schatten des Staates, Wien, S. 242-248
  • Helmut Rumpler (2005): Eine Chance für Mitteleuropa, Wien, S. 537-543

Weiterführende Quellen und Beiträge und Links:

Mein Besuch

0 Einträge Eintrag

Voraussichtliche Besuchszeit

Liste senden