Maltechniken um 1900

Die Kunst des „Fin de Siècle“

Das Ende des 19. Jahrhunderts (1890 – 1914) wurde künstlerisch geprägt von der Abkehr vom Historismus der Gründerzeit und einer Reaktion auf den Ringstraßenstil. Die nachfolgende, junge KünstlerInnengemeinschaft war auf der Suche nach neuen Formen und Alternativen sowie einem „Anti-Realismus“. Im Zentrum ihrer Kunst stand dabei der kulturelle Verfall. Ein bekannter Vertreter war Gustav Klimt, der nach einer „unverfälschten Wahrheit“ und „wahrhaften Darstellung des modernen Menschen“ suchte. Für ihn wurde das Triebleben der Menschen zu einem zentralen Motiv seiner Kunst. Diese Abkehr von den vorgegebenen Formen läutete somit einen Bruch mit den vorausgegangenen Stilen und das „Ende der Ästhetik“ ein.

Egon Schiele – Stile und Techniken seiner Zeit

Einer der bekanntesten Vertreter der Zeit des „Fin de Siècle“ war der in Tulln geborene Egon Schiele (1890 – 1918). Seine künstlerischen Anfänge lagen bereits in der Kindheit, als er vom Vordach der Wohnung seiner Eltern im 1. Stock des Tullner Bahnhofs das Geschehen um ihn herum in Zeichnungen festhielt. Später war es sein Zeichenlehrer am Klosterneuburger Gymnasium, Ludwig Karl Strauch (1875 – 1959), der ihm das Malen mit Ölfarben zeigte und mit ihm zum Zeichnen in die Natur ging. Inspiriert wurde er von den Techniken des Impressionismus (ca. 1870 – 1890), der Straßenszenen und Landschaftsmotive in den Fokus setzte. Dabei wurden die Farben leicht verwischt und die Pinselstriche kurz gehalten, um so mit Licht und Farben zu spielen.

Hinwendung zum Jugendstil

Nachdem Egon Schiele mit 16 Jahren als jüngster Student seines Jahrgangs an der Akademie der bildenden Künste aufgenommen wurde, zeigten sich bald erste Konflikte zwischen den Vorgaben der Akademie und den Vorstellungen des jungen Künstlers. Besonders brachen diese in der Malerklasse von Christian Griepenkerl (1839 – 1912) hervor, der als ein Vertreter des Historismus galt. Für ihn standen die naturalistische sowie idealisierende Porträt- und Historienmalerei im Zentrum, die er den Schülern vermitteln wollte. Für die junge KünstlerInnengeneration galten diese Darstellungsweisen jedoch als überholt. Eine Rebellion führte 1909 zur Gründung der „Neukunstgruppe“, einem losen Zusammenschluss junger KünstlerInnen, die sich vom Historismus abwandten und nach neuen künstlerischen Ausdrucksmöglichkeiten suchten. Als Alternative fanden sie den Jugendstil oder „Art nouveau“ genannt, der besonders von der Pflanzenwelt bzw. der Natur inspiriert war und diese in unterschiedlichen, oftmals floralen Ornamenten wiederspiegelte. Die Malerei wurde dabei von einer flächigen Darstellungsweise geprägt. Auf Räumliche oder plastische Effekte wurde verzichtet. Dadurch ergab sich keinerlei Raumillusion. Die Linien sind dabei dekorativ (in Wellen) geschwungen und die Farben bunt und leuchtend. Diese schwungvollen Linien zeigen beispielsweise den natürlichen Wuchs von Pflanzen oder stehen für Wellenbewegungen des Wassers. Neben der Natur (Pflanzen und Tiere) galten zudem mythologische Figuren sowie Frauen bzw. verführerische Frauen als beliebte Motive. Auch diese wurden bunt und farbenfroh dargestellt. Die schwungvollen Linien stehen hier für die Gewänder oder auch die Haare. Kombiniert werden diese Darstellungen mit floralen und wiederrum geschwungenen Hintergrundmotiven.

Expressionismus

Obwohl Schieles Laufbahn an der Akademie von Konflikten geprägt wurde, gab es auch Aspekte, die sein Schaffen maßgebend beeinflussten. Zum einen stellte das Aktzeichnen einen wesentlichen Anteil in der Ausbildung dar und zum anderen war auch ein begleitendes Anatomiestudium eine wichtige Basis für seine Menschenbilder. Hier wurde er vor allem durch den Anatomieprofessor Hermann Vincenz Heller (1866 – 1949) inspiriert. Sein Interesse galt insbesondere der Frage, „wie sich Gefühle im Gesichtsausdruck artikulieren und welche Muskeln oder Muskelgruppen durch unterschiedliche ‚Seelenerregungen‘ in Spannung versetzt werden.“
Der Mensch wird zunehmend, v.a. in der Porträtmalerei durch frontale Kopfansichten, sogenannte „EN-FACE-Darstellungen“, in den Mittelpunkt gerückt. Nicht mehr die Naturnähe war ausschlaggebend, sondern Ausdrucksmöglichkeiten von Seelenzuständen, z. B. Angst, Einsamkeit oder auch Bedrängnis, die vielfach auch einen verstörenden Eindruck hinterließen, rückten in den Fokus. Der Expressionismus ab 1911 wird daher auch als „Ausdruckskunst“ bezeichnet, da die inneren seelischen Empfindungen offengelegt werden sollen.
Egon Schiele möchte das Wesen des Menschen, insbesondere dessen unkontrollierbare Triebe, seine Sehnsüchte und Scham, aber auch die innere Einsamkeit zeigen. Er experimentierte hierfür mit Spiegeln sowie der Fotografie, um den eigenen Körper wiederzugeben, oftmals auch in Fragmentierungen und entstellenden Fratzen. Dabei entstehen zahlreiche Aktdarstellungen und Porträts. Zudem nutzt Schiele, um seinen Werken mehr Ausdruck zu verleihen, Umrisslinien, die bizarr verkantet erscheinen, grelle Farben wie Grün, Gelb, Orange und Rot, um so mittels neuer Bildsprache Emotionalität, Aggressivität oder Radikalität auszudrücken. Die Aktzeichnungen bzw. die körperliche Nacktheit zeigt auch eine nach außen Sichtbare seelische Verletzlichkeit. Die Personen werden meist mit keinerlei Hinweise auf einen Raum oder eine Umgebung dargestellt, dadurch wirken sie haltlos und ortlos. Dies zeigt den Gegensatz zu Gustav Klimt, der seine Figuren in einen ornamental gestalteten Hintergrund bettet. Zudem präsentiert Schiele seine Personen in einer leichten Aufsicht oder frontal und auch das Geschlecht wird deutlich sichtbar zur Schau gestellt. Im Vergleich zum Jugendstil wirken die Körper nicht fließend, sondern kantig, knochig und ausgemergelt in schmerzhaften Verrenkungen sowie krampfhaften Verspannungen. Um diese noch zu verdeutlichen verwendet Schiele ein fleckiges und unruhiges Inkarnat (Farbton für menschliche Haut), überlange Gliedmaße und umgibt die Personen teilweise mit einer weißen Aura, die vom Symbolismus übernommen wurde, um Gefühle wie Fremdheit, innere Anspannung und Unzulänglichkeit Ausdruck zu verleihen.
Egon Schiele prägte die Kunst seiner Zeit bis zu seinem frühen Tod am 31. Oktober 1918. In diesem Jahr konnte er nochmals einen großen Erfolg mit der 49. Ausstellung der Wiener Secession feiern (Eröffnung am 01. März 1918). „Niemals waren Ausstellungen, sei es eine konventionelle oder eine neuester Kunst, so besucht wie diese. Am Eröffnungstag konnte man um 12h mittags wirklich nicht mehr gehen, - so viele Besucher und nicht geringer an Sonntagen um diese Zeit. Es wurde soviel gekauft, wie bei keiner Ausstellung. Natürlich wird auch unerhört geflucht, - doch atmen die Menschen auf nach so langer Zeit wieder Kunst, echte neue Kunst zu sehen.“

Text: Simone Ullmann, BA BA MA


Literaturnachweise:

  • Christian Bauer, Vom Bahnhofskind zum Giganten der Moderne. Egon Schiele zwischen Tulln, Krems, Klosterneuburg und Wien . Kindheit, Netzwerke, Symbolismus und Ausdruckskunst. In: Christian Bauer (Hg.), Egon Schiele. Fast ein ganzes Leben (München 2015) 12 – 69.
  • Ernst Hanisch, Österreichische Geschichte 1890 – 1990. Der Lange Schatten des Staates. Österreichische Gesellschaftsgeschichte im 20. Jahrhundert (Wien 2005).
  • Wolfgang Krug, 1918: Das große Finale. Egon Schiele und die Familie Koller. In: Christian Bauer (Hg.), Egon Schiele. Fast ein ganzes Leben (München 2015) 115 – 145.
  • Martina Padberg, Egon Schiele. Wienands Kleine Reihe der Künstlerbiographien (Köln 2017).
  • Helmut Rumpler, Österreichische Geschichte 1804 – 1914. Eine Chance für Mitteleuropa. Bürgerliche Emanzipation und Staatsverfall in der Habsburgermonarchie (Wien 2005).
  • Karl Vocelka, Geschichte Österreichs. Kultur – Gesellschaft – Politik (München 20116).
  • Rebekka Willing / Jonas Geldschläger, Wortwuchs. Jugendstil.
  • URL: https://wortwuchs.net/literaturepochen/jugendstil/ (abgerufen am 07.04.2020).

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