Mimik & Gestik

Egon Schiele und die Bedeutung von Gestik und Mimik in seinen Werken

„Den Künstler hemmen ist ein Verbrechen, es heißt keimendes Leben morden!“ (Egon Schiele, 1912)

Der in Tulln geborene Künstler Egon Schiele beschäftigte sich wie kaum ein anderer mit Gestik, Mimik, dem Grimassieren sowie unterschiedlichen Formen des körperlichen Ausdrucks. In diesem Beitrag soll dargestellt werden, wer und was den Künstler in seinem Arbeiten mit menschlichen Ausdrucksformen besonders beeinflusste.

Die Anfänge in Klosterneuburg

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Schiele Statue vor dem Egon Schiele Museum in Tulln, Foto: Helmut Lackinger
Wir begeben uns zunächst auf Spurensuche nach Klosterneuburg. Schiele wohnte in den Jahren 1904/05 bei der Familie Holzknecht, in unmittelbarer Nähe des Gymnasiums, das er besuchte und wo er in Karl Ludwig Strauch, seinem Zeichenlehrer, einen seiner ersten wichtigen Förderer fand.

Guido Holzknecht war ein erfolgreicher Unternehmer, der eine florierende Bernsteinwarenfabrik sein Eigen nannte. International bekannt wurde die Familie durch den Sohn, der als Radiologe österreichische Forschungsgeschichte schrieb. Direkt im Haus fanden demnach radiologische Studien statt. Schiele erwähnt dies in seinen Briefwechseln zwar nicht, aber es finden sich Zusammenhänge zu manchen seiner Werke. Die ersten „X-Strahlen-Bilder“, die an die Öffentlichkeit gelangten, zeigten geröntgte Hände. Rund um 1910 findet sich die skelettierte Hand in zahlreichen Schiele Bildern.
Wichtig ist zu bedenken, dass Medizin und Kunst in der Zeit um 1900 viel näher beisammen waren. Der Leiter des damaligen anatomischen Instituts Emil Zuckerkandl und seine Frau Berta waren Vorreiter dieser Entwicklung. Es wurde versucht diese Ideen der breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen, unter anderem durch Vorträge wie jenem von Julius Tandler (1901) „Anatomie mit Berücksichtigung der breiten Kunst“. Tandler war der Ansicht, dass ein Künstler nur mit medizinischer Schulung bestehen kann.

„Wenn der Künstler keine Anatomie kennt, so spannen seine Figuren immer falsche Muskeln an.“

Egon Schiele beschäftigte sich eingehend mit medizinischen Neuerungen und das befruchtete auch seine Ausdruckskunst.

An der Akademie

Eine weitere wichtige Persönlichkeit, die sein Arbeiten mit Gestik, Mimik und Ausdruck beeinflusste, war sein Anatomieprofessor an der Akademie Hermann Vincenz Heller. Dieser hatte gemeinsam mit Schieles Jahrgang mit dem Lehren an der Akademie begonnen (Dezember 1906) und war bekannt für seine Forschungen zur Physiognomik. Er war im ständigen Dialog mit Theodor Piderit, dem wichtigsten deutschen Ausdrucksforscher seiner Zeit.

Heller arbeitete mit dem neuen Medium der Fotografie und war der Ansicht, dass es Authentizität hierbei nur auf der Ebene der Repräsentation geben könne, somit rückt der innere Zustand in den Hintergrund und der Ausdruck wird von der künstlerischen Seite her gedeutet. Demnach hat er eine ganz andere Sichtweise als Piderit, der die Physiognomik als Spiegel der Seele erachtet.

Heller griff in seinem Unterricht auch auf die Alabasterbüsten von Franz Xaver Messerschmidt zurück. Diese ermöglichten die Untersuchung der Wichtigkeit von Mimik im Selbstbildnis.

Heller vermittelte den künstlerischen Ausdruck als eine theatralische Inszenierung. Er bevorzugte die „pantomimische Mimik“. In ihr „treten die Züge des Antlitzes, die Miene selbst in den Dienst der Pantomime [...] um körperliche Vorgänge im Bereiche des Antlitzes zu imitieren.“

Es zeigt sich hier, dass Schiele durchaus auch moderne künstlerische Ideen an der Akademie vermittelt bekam. Heller beeinflusste sein Schaffen nachhaltig.

Die Physiognomik war als Wissenschaft damals so populär, dass sie auch außerhalb des künstlerischen Bereiches, nämlich unter anderem im Zusammenhang mit Fahndungsfotos, Anwendung fand. Hier wurden auch die Hände miteinbezogen, man deutete ihr Aussehen und ihre Beschaffenheit. Extremitäten maß Schiele von Beginn an große Bedeutung bei. Neben dem Gesicht waren sie für ihn das wichtigste Element. Das lässt sich besonders in seinen Selbstportraits erkennen. Er setzt sie oft bildflächenparallel und ohne perspektivische Verkürzungen. Wie Chiffren, die nur der Künstler zu deuten weiß, werden die Finger in vielfältiger Form abgespreizt.

In diesem Zusammenhang findet sich ein weiterer zentraler Grundsatz in Schieles Kunst: die Spiegelung und das Spiegelbild. Bei den „Verbrecherfotos“ wird mittels eines Spiegels die Verdopplung der dargestellten Person möglich. Der Spiegel und die Fotografie waren wohl von Beginn an zentrale Hilfsmittel für seine gestalterischen Experimente.

Ob Hermann Heller in seinem Unterricht auch die Fahndungsfotos thematisierte, ist nicht bekannt. Fakt ist, dass diese Bilder um die Jahrhundertwende Teil des Alltags in Wien waren. Max Mayrshofers Werke waren wohl auch prägend für Egon Schiele. Mayrshofer erarbeitete mit hoher Wahrscheinlichkeit die erste Darstellung von psychiatrischen Patienten im Wien der Moderne. Bei der „Anstaltsserie“ (1907) des Künstlers, handelt es sich um Darstellungen von Menschen mit ausladenden expressiven Gesten. Der Gesichtsausdruck ist dabei im Hinblick auf die Mimik stark übersteigert und die Gesichtszüge zeigen eine unfassbare Intensität. Diese Herangehensweise wird für Schieles späteres Werk prägend werden. Er wird sich der ausladenden Gesten sowie des Grimassierens und der an die Grenzen gehenden Körperspannung so bedienen, wie kaum ein anderer.

Wie Schiele zu Schiele wurde

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Schiele Selbstbildnis mit Gilet (1910), Foto: Peter Böttcher, Landessammlungen Niederösterreich
Die Jahre 1909 bis 1911 waren eine besonders fruchtbare Zeit für Egon Schiele. Er lernte viele seiner Förderer kennen und besuchte erstmals Max Oppenheimer in dessen Atelier. Schiele war auf der Suche nach einem Weg, weg von Klimt, da Kritiker und Kritikerinnen die starke Anlehnung an dessen Kunst bereits bemängelten.

Aus der Begegnung mit Oppenheimer entwickelte sich eine Freundschaft, die zu einer Ateliergemeinschaft führte. Schiele entfaltete eine neue Bildauffassung und verließ die ornamentalen Strukturen. Gold oder andere Metallauflagen verwendete er nicht mehr. Er erkundete neue Spielarten der Ausdruckskunst, dabei wurden ungewöhnliche Stellungen und Perspektiven erprobt. Die rein anatomische Körperauffassung wich einer mehr kompositorischen. Schiele übersteigerte Körperformen. Die bereits zuvor erwähnte Bedeutung der Hände wird schlagend, sie werden zu wichtigen Ausdrucksträgern, die anhand der Körperhaltung und vor allem der Stellung der Arme zusätzlich betont werden.

Ein weiterer Punkt, der hier zu erwähnen ist, ist Schieles Auseinandersetzung mit dem Ausdruckstanz. Tänzerinnen wie Mata Hari und Ruth St. Denis begeisterten damals viele Menschen. Besonders die Auftritte von St. Denis als asiatische Tempeltänzerin erfreuten sich großer Beliebtheit. Auch der junge Schiele gehörte zu ihren Zuschauern und war so stark von der Tänzerin fasziniert, dass er auch ihre persönliche Bekanntschaft suchte.

Auch die Einbeziehung der Stummfilm-Thematik bietet sich hier an. Die sich neu entwickelten Formen der Filmkunst wirkten aufgrund ihrer hohen Verbreitung und Beliebtheit auch auf andere Künste. Sie beeinflussten demnach auch die zeitgenössischen Maler und Malerinnen. In Schieles Nähe befinden sich damals fünf Kinos, die es ihm ermöglichten, sich mit der einzigartigen, zum Teil grotesk überzeichneten, Stummfilmgestik auseinander zu setzen. In seinen Werken nutzt er die Mimik um Affekte, wie Wut, Scham oder auch Erstaunen auszudrücken.

Der Tullner Künstler experimentierte mit den Möglichkeiten emotionaler Ausdrucksweisen, bezog dabei neue Kunstformen, sowie Sicht- und Wahrnehmungsweisen des Malens mit ein und erschuf so ein neues Bildvokabular, das er wiederum in seine ganz persönliche Ausdruckssprache von expressiven Gesten umwandelte. Anregungen für diese besonderen Gesten lassen sich unter anderem im bereits erwähnten Ausdruckstanz und im Stummfilm entdecken. Bis 1914 entstehen außergewöhnliche Bildgesten, die das museale Publikum bis heute tief beeindrucken. In seinen letzten beiden Lebensjahren schien Egon Schiele wieder mehr mit Bewegung zu experimentieren. Er erprobte alle erdenklichen und anatomisch realisierbaren Stellungen und Haltungen.

 

Autorin: Nina Gruber, MA (Kulturvermittlerin im Egon Schiele Museum Tulln & Haus der Geschichte im Museum Niederösterreich)

Literatur:

  • Christian Bauer, Vom Bahnhofskind zum Giganten der Moderne. Egon Schiele zwischen Tulln, Krems, Klosterneuburg und Wien. Kindheit, Netzwerke, Symbolismus und Ausdruckskunst. In: Christian Bauer (Hg.), Egon Schiele. Fast ein ganzes Leben (München 2015) 12 – 69.
  •  Agnes Husslein-Arco und Alfred Weidinger, Egon Schiele – Selbstportraits Vom ewigen Träumen voll süßestem Lebensüberschuss. In: Agnes Husslein-Arco/Jane Kallir (Hg.), Egon Schiele. Selbstportraits und Portraits (Prestel Verlag 2011) 11-29
  • Alexander Klee, Attitüde und Geste als Abbild des Geschlechterverständnisses. In: Agnes Husslein-Arco/Jane Kallir (Hg.), Egon Schiele. Selbstportraits und Portraits (Prestel Verlag 2011) 31-45
  • Gregor Mayer, Ich ewiges Kind. Das Leben des Egon Schiele (Residenz Verlag 2018)
  • Karl Vocelka, Geschichte Österreichs. Kultur – Gesellschaft – Politik (München 2011).

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